Vom Grundsatz her

Inhaltsverzeichnis

Was Sie im Inhaltsverzeichnis vorfinden, ist Teil meines Orgelunterrichts. Warum ›vom Grundsatz her‹?

Wir leben in einer Zeit, in der ›Gewissheit‹ vom Grundsatz her hinterfragt wird. Dies kann man von Sokrates herleiten, vom Zufallsprinzip oder vom Skeptizismus moderner Wissenschaft.

Von welchem Holz ist die Kunst? Mit welchen Gewissheiten tritt ein Künstler aufs Podium? Oder haben Gewissheiten auch in der Kunst keinen Platz?

Meiner Erfahrung nach reduziert sich Orgellehre heute vielfach auf Pragmatismus. Sogenannte »Quellen« werden zu Gebrauchsanweisungen über Artikulation, Tempo, Registrierung. Dies sind dann die ›Gewissheiten‹.

Ebenen der Hermeneutik werden dann negiert oder in den Bereich der Spekulation verwiesen.

Oftmals wird nicht deutlich, gegen oder an wen sich der Autor der Quelle richtet und was dabei sein Selbstverständnis ist.

Beschäftigt man sich hingegen mit derartigen Traktaten oder Abhandlungen genauer, so werden Beweggründe plausibel und man spürt die innere Dynamik einer Argumentation. Ähnlich verhält es sich mit Instrumenten: Zum Plenum einer Orgel sagen die Einen »Principal 8′, 4′, 2′, Mixtur«, die Anderen sehen unterschiedlichste Möglichkeiten und damit öffnen sich dann Türen in die allgemeine Ästhetik und Philosophie.

Daher kann man nicht mehr bei ›Gebrauchsanweisungen‹ stehen bleiben, sondern es gilt, die Räume der Geistesgeschichte ›vom Grundsatz her‹ zu entdecken.

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01 Kleine Vorrede zu »Vom Grundsatz her«

Ich will hier keine Lehrsätze "zum Besten" geben, sondern Sätze, die mir zu Grundsätzen geworden sind.

  • Musikalische Information ist Information über Beziehung
  • Beziehung existiert überall
  • Daher stoße ich den Gedanken an, Musik als eine Beispielebene für Beziehung zu sehen
  • Für Musik geht es dann um Qualitäten von Beziehung
  • Aus der Perspektive des Instrumentes Orgel kann dann gelten, die Orgel insbesondere als ›Beispielebene für Beziehung und die Qualität von Beziehung‹ zu denken
  • Zuweilen steht in einer Orgel hier der Principalchor und die Mixtur, dort stehen ein paar Weitchorregister, zwei Aliquoten und eine Zungenstimme – sie sind als Gegensätze gedacht und auch so konzipiert, woraus sich nur wenig an innerer Beziehung festmachen lässt
  • Die eine Qualität der Beziehung ist dann gekennzeichnet durch Redundanz, die andere ist gekennzeichnet durch Komplexität
  • Daraus folgt: Redundanz ist ein Mangel an Komplexität
  • Ich wage es nun, Qualität zu definieren: Qualität zu beschreiben heißt, Komplexität, Redundanz sowie Einheit, Diversität und Diffusion zu einander ins Verhältnis zu setzen
  • Wenn ich es wage zu sagen, dass jenseits von Beziehung nichts existiert, dann frage ich weiter: Kann es realiter eine Beziehung geben, die bedeutet, dass zweimal exakt dasselbe existiert? Ich meine, dass es dies nicht geben kann, da alles, was existiert, an einen Ort gebunden ist und dass somit gilt: Auch wenn zwei Phänomene exakt gleich erscheinen, so sind sie doch durch unterschiedliche Orte voneinander unterschieden
  • Wenn daher jede Beziehung durch Unterscheidung geprägt ist – und da ausschließlich Beziehung existiert – so sage ich nun: Gemäß dem Prinzip von These und Antithese bzw. dem universalen Prinzip von Punctus contra punctum führt jede Form von Beziehung zu einer Erfahrung von Dialektik.
  • Daraus folgere ich: Da Beziehung überall herrscht, ist Dialektik das universellste aller Prinzipien
  • Daraus folgere ich: Wenn man die Frage der Qualität einer Orgel an ihrer Befähigung zur Emphase und an der Komplexität ihrer Skalierungen ausrichtet, dann ist Orgel für alle bislang genannten Punkte eine ideale Beispielebene
  • Was ist dabei ›Tonalität‹? Tonalität ist die Suggestion eines Kräftefeldes, eines Magnetismus, einer Magie
  • Was ist dann Bewusstsein? Bewusstsein ist Eintauchen in Beziehung

...dies war am 2. Juli 2024 an der HfM Würzburg Gegenstand der Lehrveranstaltung ›Experimentierfeld Konzertsaalorgel‹

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02 Energetik als Urphänomen

Alles befindet sich zueinander in Spannung. Spannung wird dann künstlerisch produktiv, wenn sie in einem natürlichen Wechselverhältnis zu Entspannung steht. Energetik, Gravitas und Unterscheidung sind dazu die Urphänomene.

Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen, und wenn ihn das Urphänomen in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden […]
(Johann Wolfgang von Goethe)

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03 Gravitas als Urphänomen

Bach lobte die Gravität einer Orgel. Im Universum und auf unserer Erde herrscht Gravitation. Taktschwerpunkte führen – musikalisch verstanden – zu Punctus contra punctum, nämlich zu Betonung und Nichtbetonung. Robert Schumann prägte dann – um der Redundanz des immer Gleichen als dem falsch verstandenen Taktprinzip eines geistlosen Schematismus zu entkommen – den Begriff der ›musikalischen Prosa‹.

Diese Skizze wäre nun ein musikalisches Kräftefeld. Gibt es etwas, was nicht – direkt oder indirekt – rückgebunden wäre an Gravitas? Etwa die ›Leichtigkeit des Seins‹?

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05 Todesstunde

»Wissen Sie denn nicht, wie sich durch alle meine Sachen der Choral zieht: Wenn ich einmal soll scheiden?« – so deutlich äußerte sich sonst kein Komponist der sogenannten ›ernsten Musik‹ außer Max Reger. Helmut Lachenmann sprach von »Musik als existenzielle Erfahrung«. Und Bach?

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Samuel Kummer (1968 – 2024) – Choralbearbeitung im Stil von Johann Sebastian Bach, »Mit Fried und Freud ich fahr dahin« Canon alla quinta, (2017, Christoph Bossert gewidmet), Einspielung 03.05.2024, HfM Würzburg, Klais-Orgel 2016/2024, Orgel: Christoph Bossert

09 Aggregatzustände als Urphänomen; daraus folgt Übergang

Aggregatzustände werden beschrieben durch die Adjektive flüssig, fest und gasförmig. Der Übergang vom einen zum andern Zustand ist fließend und bruchlos. Zumindest Übergänge sind in der Musik ein wichtiger kompositorischer und interpretatorischer Gegenstand. Könnte man Adjektive wie flüssig, fest und gasförmig ebenso auch auf Musik anwenden?

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27 Weitere denkbare Impulse

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